WYSI(N)WYG

12. Januar 2017, spe

Bildcollage: NADAR, Marieke Berendsen

Ein kryptischer Titel einer recht seltsamen Bildserie – was steckt dahinter?

Als Konzept im frühen Desktoppublishing bezeichnete WYSIWYG («What you see is what you get») die Differenz zwischen dem, was man z.B. von einem Bild im Druck erhielt, zu dem, was man davon während der Verarbeitung auf einem Bildschirm sehen konnte. NADAR, ein innovatives Ensemble der Neuen Musik, das Noise, Pop-Aneignungen und Computergames mit Elektronikperformances verbindet, nennt nun eine Arbeit WYSI(N)WYG («What You See is (Not) What You Get») und stellt diese Reihe von Porträts dazu. Die Bildserie irritiert dauerhaft – und betört zugleich.

Fotografien sind normalerweise wahrnehmungsnah. Die Anordnung dieser vier Porträts – denn trotz aller Fremdheit sind sie das doch irgendwie – ist typisch für Passbilder, wie sie etwa aus einem Foto-Automaten kommen könnten. Da nun sind wir besonders heikel in der Wahrnehmung und erwarten die visuelle Repräsentation einer Wirklichkeit, eine detailreiche und präzise physiognomische Übereinstimmung. Auch die Polizei erwartet das.
Aber hier? Unmöglich zu sehen, was man von diesen Bildern «erhält», weil sie zwar mit realen Gesichtern korrespondieren, aber darin nicht aufgehen. Eben: WYSI(N)WYG.

Die Unschärfe und die auffälligen Halbtransparenzen ziehen die Wahrnehmung auf sich und verleiten zu Spekulationen. Photoshop-geschult erkennen wir diese Bilder leicht als Bildüberlagerungen. Während statische Bilder ist im wesentlichen atemporal sind, entsteht hier mit der «Mehrfachbelichtung» so etwas wie ein Zeitfaktor. Da mag man an frühere Zustände denken, auch an hybride Identitäten, vielleicht an Geister. Auch zeigt sich die grundlegende Zweiheit von Bildern als tatsächliche visuelle Darstellung wie auch als mentale Vorstellung.

In Zeiten aber, wo schon Gesichtserkennungssoftware menschliche Gesichter aufnimmt und sie in Helligkeit, Farbe, Ausschnittt und Auflösung automatisch abgleicht, schätzt man irgendwie dieses ungeklärt Unauflösliche. Ein Hoch auf die flatternden, haarigen Gestalten.

Merkmale von Bildern (Frischherz & Sprenger, 2016)

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